Die wilde Jahreszeit: Wandern im Herbst
Wenn der Berg ruft
Es heisst, der Anblick von Natur soll eine antidepressive Wirkung entfalten. Ob das stimmt oder nicht, ein wenig frische Luft hat noch niemandem geschadet. Wie glücklich wir uns schätzen können, in einem Wanderparadies zu leben, vergisst man schnell: Die Schweiz kann nicht nur atemberaubende Landschaften vorweisen, kaum ein Land kann gleichzeitig ein so dichtes und gut ausgebautes Netz an Wanderwegen sein Eigen nennen. Spektakuläre Panoramen und wilde Wälder finden sich praktisch in jedem Kanton, dank der ausgezeichneten Markierung läuft man selten Gefahr, vom Weg abzukommen.
Wanderung vorbereiten & planen
Rutschfeste Schuhe und regendichte Kleidung sind im Herbst ein Muss. Und eine gute Wettervorhersage: Ein paar Tropfen machen noch keinen Ausflug zunichte, bei strömendem Regen wird es in den Alpen aber bald ungemütlich. Zahlreiche Apps wie Swisstopo, Schweizmobil, Outdooractive oder andere ermöglichen die Navigation auch für Laien. Ein wenig Übung hilft auch hier, ungeplante Umwege zu vermeiden. An der Markierung der Wege lässt sich auch deren technische Anforderung ablesen: Gelb steht für «gemächlich», rot-weiss-rot benötigt fortgeschrittene Kenntnis, blau-weiss-blau hingegen ist alpin-erfahrenen und sehr trittsicheren Wanderinnen und Wanderern vorbehalten.
Es wäre vermessen, in dieser Vielfalt die Besten küren zu wollen. Hier aber ein paar Empfehlungen, darunter einige echte Klassiker:
Alpine Felsformationen im Jura: Creux du Van
Die Rundwanderung zur natürlichen Felsformation im Neuenburger Jura ist ein unvergessliches Erlebnis. Ab der Ortschaft Noiraigue geht es über Les Oeillons und dem «Sentier des 14 Contours», vorbei an abwechslungsreichen Wiesen- und Waldabschnitten, ziemlich direkt zum Creux du Van. Die runde Felsarena selbst ist etwa 1’200 Meter breit und 500 Meter tief. Die 160 Meter hohen, senkrecht abfallenden Felswände im ältesten Naturreservat der Schweiz beherbergen sogar Steinböcke, Gämsen und Adler. Der Ausblick ist auch sonst sehenswert: Mit etwas Glück kann man in der Ferne den Mont Blanc sehen.
Achtung: Die Kante zum Abgrund ist an den wenigsten Stellen gesichert, weshalb Vorsicht geboten ist.
Engelberger Klassiker: Der Walenpfad
Eine Seilbahn bringt Wanderinnen und Wanderer von Oberrickenbach zur Bannalp mit dem gleichnamigen See, wo der Panoramaweg durch die Unterwaldner Voralpen über die Walenalp zur Brunnihütte startet. Neben den Walenstöcken ist der Ausblick über den Abgrund der Walegg sicherlich ein Highlight. Indem man die Wanderung «verkehrt» geht, also von Brunni zur Bannalp, muss man zwar ein paar Höhenmeter mehr überwinden, wird aber zum Schluss mit dem majestätischen Felskessel der Walenstöcke belohnt (statt diesen im Rücken zu haben) und erhascht einen herrlichen Blick auf den Bannalpsee. Die Touristenmassen um die Rodelbahn und den Kneippweg bei Ristis verflüchtigen sich auch im Sommer zuverlässig mit der ersten Steigung. Trotzdem ist der Besuch unter der Woche entspannter.
Lötschentaler Panorama: Restipass
Auch wenn der Name hoffen lässt, auf dem Restipass im Naturpark Pfyn-Finges im Oberwallis gibt es kein Restaurant. Die relativ geradlinige, mit 15 km aber lange Wanderung vorbei am Torrent- und Majinghorn, am «Wysse See» und «Schwarze See», von Leukerbad nach Lauchernalp erfordert mittelmässige Kondition, was mit einer einzigartigen Steinlandschaft auf dem Pass belohnt wird.
Alleine die Sicht vom höchsten Punkt ins Lötschental und auf das Bietschhorn ist die Mühen wert. Mit 2'628 Meter über dem Meer ist allerdings selbst im Sommer noch mit Schnee auf dem Pass zu rechnen. Vor der Tour muss die Begehbarkeit daher überprüft werden. Oben weht stets ein steifer Wind.
Vom Bergsturz geformt: Ruinaulta
Es begann mit einem Unglück: Die Schlucht im Vorderrheintal zwischen Reichenau und Ilanz entstand vor 10’000 Jahren durch einen gewaltigen Bergsturz. Das Resultat: Der «Schweizer Grand Canyon» mit weissen Steilwänden und einem reissenden, sich durch die Felslandschaft windenden Fluss. «Ruinaulta» ist dabei der romanische Name der Schlucht.
Die Strecke, die man in dieser Landschaft zurücklegen will, kann man fast frei wählen und sich eine beliebige Wanderung von 4 bis 8 Stunden aussuchen. Wer keine Höhenmeter mag, kann sich ans Flussbett halten. Dafür verzichtet man aber auf die Sicht ins Tal. Als Startpunkt bietet es sich an, mit der Rhätischen Bahn (RhB) zum Beispiel nach Trin, Versam-Safien oder Valendas-Sagogn zu fahren. Auch mit dem Kayak oder Velo lässt sich dieses Paradies erkunden.
Von Someo zur Capanna Alzasca
Obwohl die Wanderung zur Alzasca-Hütte mit dem gleichnamigen See kaum 9 Kilometer lang ist, verlangt sie einiges ab. Ganz getreu der Tessiner Tradition geht es nämlich, sobald man das Flussbett der Maggia verlassen hat, auf Granittreppen durch Buchen- und Kastanienwälder steil nach oben. Nach fast 1’400 Höhenmetern vorbei an den Maiensässen Faéd di fuori und Corte di Sotto kann man die übersäuerten Beine endlich auf der Bank vor der Hütte ausschütteln und die Aussicht geniessen. Am besten, man übernachtet in der Capanna und erfrischt sich am Folgetag morgens in der Freiluftdusche mit freiem Blick ins Tal. Zumindest, solange es die Temperaturen zulassen. Danach wandert man für die zweite Etappe die kurze Strecke zum Lago d'Alzasca, einem der schönsten Bergseen im Maggiatal, bevor es über den Lago die Sascòla zurück Richtung Cevio geht.